Ist die Luftdruckangabe von 1,9-2,0 bar eigentlich reifenunabhängig?
Also bspw egal welches Sommergummi mit 195/50 auf der 16" Felge sollte der Luftdruck immer bei 1,9-2,0 sein?
Wenn die Flanken der Reifen (rein theoretisch gesprochen) keinerlei Steifigkeit in vertikaler Richtung hätten und somit das Fahrzeuggewicht nur über die Luft in den Reifen getragen würde, dann hinge die Größe des Latsches (Aufstandsfläche des Reifen) ausschließlich vom jeweiligen Luftdruck und der Radlast ab. Je weniger Luftdruck, desto größer der Latsch. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Reifenaufstandsfläche
Für eine gleich große Aufstandsfläche braucht man in erster Näherung also bei allen Reifen denselben Luftdruck. Tatsächlich ist die Steifigkeit der Flanken nicht vernachlässigbar klein, denn der Reifen muss ja auch Seitenführungskräfte aufnehmen können. Bei Run-on-flat Reifen wird meistens mit verstärkten Seitenwänden gearbeitet, die im Extremfall das Fahren ohne Überdruck ermöglichen sollen. Bei zu niedrigem Luftdruck verteilt sich der Druck nicht mehr gleichmäßig und die Lauffläche wird in der Mitte zu sehr entlastet. Bei zu hohem Luftdruck passiert natürlich das Gegenteil.
Unterschiede im Aufbau der Seitenwände und der Lauffläche können also unter anderem Gründe sein, warum ein Reifen mit etwas weniger oder etwas mehr Luftdruck besser funktioniert, als ein anderer.
Kräfte aller Art (bei Bremsen, Beschleunigen, Kurvenfahrt) können nur über den Latsch übertragen werden. Dazu will man eine hohe Haftreibung zwischen Straße und Reifen haben. (Gleichzeitig soll die Rollreibung gering sein, aber das ist ein separates Thema.) In allen Formelsammlungen steht, dass die Haftreibung nur von der Normalkraft und dem Reibungskoeffizienten abhängt, aber nicht von der Aufstandsfläche. Warum interessieren wir uns dann überhaupt für die Größe des Latsch und knallen nicht einfach den maximal zulässigen Druck in die Reifen? Weil das eben nur in erster Näherung gilt. Der Reibungskoeffizienten selbst ist kein Naturphänomen, sondern eine vereinfachte Beschreibung der Wirklichkeit. Die Straße ist nicht eben, sondern extrem rau, der Reifen hat ein Profil, die tatsächliche effektive Fläche, auf der Reibung zwischen Gummi und Asphalt stattfinden kann ist kleiner als in der Theorie. Für möglichst viele Punkte, an denen eine Verzahnung stattfinden kann, will man daher wirklich einen großen Latsch.
Langer Redenurzer Sinn: Je nach Reifen kann es unterschiedliche ideale Luftdrücke geben, aber die Unterschiede sind nicht sehr groß und liegen eher im Bereich der persönlichen Vorlieben. Zu viel Druck verringert effektiv die Haftung, zu wenig kann die Lenkpräzision beeinträchtigen. Beide führen zu ungleichmäßigem Verschleiß. Bei Niederquerschnittsreifen ist das "Fenster" sinnvoller Drücke schmaler, als bei Ballonreifen.